Mittwoch, 26. September 2012

Sound Of Silence



Oberhalb des israelischen Militärfriedhofes – auf welchem den gestorbenen Soldaten der Befreiungskriege, aber auch Kämpfer gegen Nazideutschland gedacht wird – steht – nach einem weiteren Abschnitt für die politischen Führer des Staates Israel – das Grab Theodor Herzls und seiner Familie. Das Grab des Begründers der zionistischen Bewegung erhebt sich auf dem höchsten Punkt des Herzl-Berg für sich allein und ist – für jüdische Grabmäler untypisch – mit Pflanzen umgeben. Von diesem Berg ausgehend, kann man einem Pfad folgen, der einzelne Stationen der Staatsgründung Israels darstellt und zu der eigentlichen Stätte führt von der ich heute berichten möchte: Yad Vashem.
Am 06. September besuchten wird die Gedenkstätte der Shoa, welche 1953 gegründet wurde und seit dem Museumsumbau 2005 sich ganz neu darstellt. Eigentlich ist das Gelände ein Zusammenschluss mehrerer Gedenkstätten, welche die verschiedenste Schicksalsschläge der Juden in Europa thematisieren: Ein Deportationswagen steht am Rande einer abgeschnitten Eisenbahnbrücke; im Tal der Gemeinden sind auf die Felsblöcke die Namen der verschiedensten jüdischen Gemeinden aufgeschrieben; die Halle der Erinnerung enthält eine Gedenkflamme und nennt die größten Vernichtungslager; in der Halle der Namen werden die Namen und Biographien der Opfer des Massenmordes gesammelt; ein Gedenkplatz erinnert an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Besonders eindrücklich blieb mir das Denkmal für die Kinder im Gedächtnis. Der Weg führt in die Dunkelheit hinab, wo mit Kerzen und Spiegeln ein Sternenhimmel erzeugt wird und eine off-Stimme die Namen und Geburtsorte der ermordeten Kinder nennt. Der Weg aus der Dunkelheit führt in das Tageslicht zurück. Der Kontrast von Dunkel und Licht, Tod und Leben, Verzweiflung und Hoffnung: ein Motiv, auf das vielen Gedenkstätten zurückgreifen. So auch das Museum. In einem langen dreieckigen Bau wird die Geschichte der Shoa dargestellt. Das Ende der Ausstellung thematisiert die Einwanderung und die Gründung des Staates Israel. Umrahmt wird Anfang und Ende von einem Kinderchor der dreißiger Jahre, welche die spätere israelische Nationalhymne singt. Der Weg führt in einer gewissen Dunkelheit hinab zum tiefsten Punkt des Gebäudes, an welchem der Beginn der Massenvernichtung thematisiert wird, und führt anschließend nach Ende des Weltkriegs und der Staatsgründung hinaus in das Sonnenlicht zu einer Plattform, von welcher auf man den Blick vom Berg hinab wirft. So wird wohl mit dem Motiv gespielt, dass man nach den Schrecken des Terrors nun auf das verheißene Land blickt, in welchem der Neuanfang begann. Auch sonst wird durch einzelne Bibelstellen mit den Motiven des Exils und des Auszugs aus Ägypten gearbeitet, allerdings wird der Gottesbezug ausgeklammert. Auch der Name Yad Vashem ist biblisch und findet sich in Jes 56,4-5.  
Ich komme wohl nicht darum, meine persönlichen Eindrücke zu dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte zu schildern. Es war sehr überraschend. Ich konnte dieses Museum mit in einer gewissen Distanz gegenüber dem Dargestellten besuchen. Ich hatte nicht das Gefühl mich für meine Vorfahren rechtfertigen zu müssen oder als "Kollektivschuldiger" gebrandmarkt zu werden. Ich nehme an, dass die Aufarbeitung der Nazizeit in Deutschland doch ziemlich umfangreich ist und man sich dieser auch in unserer Generation nicht entzogen hat. Zumindest haben wir in unserer Schulzeit diese 12 Jahre mit all ihren Schrecken in nahezu jedem Schulfach besprochen. Daher war der neue Informationsgehalt relativ gering und ich entwickelte meine eigenen Überlegungen zur Ausstellung. Zwei Gedankengänge möchte ich an dieser Stelle mitteilen: Zum einen war ich wiedermal aufs Neue überrascht, wie "effektiv" die nationalsozialistische Propaganda war. Seit der Machtübernahme wurden insb. die Juden durch Propaganda in den unterschiedlichsten medialen Formen, Gesetzgebung und ideologischer Erziehung, aber auch durch "Alltagsgegenstände" wie thematisierten Gesellschaftspielen immer weiter entmenschlicht. So schien mir auch die organisierte Vernichtung des jüdischen Volkes im nazideutschen Einflussgebiet eine innerideologische "Konsequenz" zu sein. Die Juden, als außerhalb der Gesellschaft stehend und des Lebens unwürdig gedacht, propagiert und wohl auch geglaubt, wurden letzten Endes ihrer ideologischen "Bestimmung" zugeführt. Für mich unterstrich der lineare Aufbau des Museums diesen Gedankengang, allerdings bin ich mir relativ sicher, dass dies nicht die Absicht der Konzeption war. Es bestätigte sich hier die Aussage, dass nicht nur die Ideologen den Boden der Vernichtung genährt haben, sondern vielmehr die schweigende Mehrheit, welche die Ideologie für sich akzeptiert und nicht in Frage gestellt hat. Davon ausgehend musste ich mich fragen, inwieweit wir heutzutage medial beeinflusst sind. Welche Ideologie nehmen wir für bare Münze, halten sie hoch und hinterfragen sie nicht? Wo müsste man aus objektiver Sichtweise Anfragen stellen und bereits jetzt intervenieren, bevor man erneut als schweigende Masse auf das Glatteis geführt wird und sich für eine menschliche Katastrophe rechtfertigen muss? Wird uns die Welt von verschiedensten Mächten mit einer ideologischen Propaganda präsentiert, die wir durchbrechen müssen, bekämpfen müssen, um ein dadurch provoziertes Leid zu verhindern?
Ein anderer Gedankengang führte mich zur Betrachtung des Menschen. Und ganz ehrlich: Ganz so gut schneidet unsere Natur nicht ab. Das Pauschalurteil der Mensch sei genuin böse, ist sicherlich zu plakativ. Aber wenn man sich anschaut inwieweit der Mensch sich seit diesen 80 Jahren weiterentwickelt hat, muss man sich wirklich fragen, ob nicht eine Lernresistenz dem Menschen zu Eigen ist. Es hat mich traurig gemacht zu sehen, dass der Mensch im Angesicht dieser Katastrophe weiterhin in der Lage ist mit rassistisch-ideologischen, (religiös-)fanatischen oder auch andere exklusiven Argumenten, ganze Gesellschaftsgruppen auszuschließen. Ja – in einer gewissen Form als "Untermenschen" zu charakterisieren und somit ihr Lebensrecht abzusprechen. Wo bleibt das Menschenbild, welches in unserem Grundgesetz mit den Worten "Die Würde des Menschen ist unantastbar" widergegeben wird? Sind wir überhaupt in der Lage in Frieden miteinander zu leben oder ist dies eine reine Wunschvorstellung – eine Illusion? Wie kann der "Kampf für eine gerechte und friedliche Welt" gewonnen werden? Sicherlich wäre eine Resignation der falsche Weg und die Hoffnung, dass "viele kleine Menschen, die viele kleine Schritte tun das Gesicht der Welt verändern können" muss aufrecht erhalten werden. Dennoch war ich nach dem Besuch in Yad Vashem wieder einmal vom Menschen enttäuscht; und auch von seiner offensichtlichen Unfähigkeit, selbst im Angesicht des größten Leids und Versagens der Menschheit, Konsequenzen zu ziehen, um sich für ein  allgemeingültiges friedliches Miteinander zu engagieren.

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